Ich habe einige außergewöhnliche Behandlungsansätze, die sich nicht in Büchern wiederfinden. Diese sind meist konsequent weitergedachte schulmedizinische Betrachtungsweisen. Um mich und meine Arbeit besser kennenzulernen, stelle ich diese hier dar. Ich diskutiere diese gerne mit Ihnen und stelle etwas pointiert dar, um zum Austausch anzuregen. Dieser Blog ist weder Ausbildung, noch zum Nachahmen gedacht und ersetzt keine ärztliche Beratung oder Therapie. Aber vielleicht lachen Sie. Und dann vielleicht doch.
Heute geht es einmal nicht um meine Diät, auch wenn ich jeden Tag darauf angesprochen werde. Ok, kleiner Spoiler, die 76 steht! Der BMI muss völlig neu berechnet werden für mich, da ist schon eine Kommission zusammengetreten. Wie schön wäre es, wenn wir uns auch geistig verschlanken könnten nach Kochrezept? Eine klare Linie, leicht zu verstehen und noch leichter nachzumachen: „Die Kopfdiät.“ Ich meine da einen Trommelwirbel im Hintergrund gehört zu haben.
Kurz zum Hintergrund: Immer wenn ich die Arbeitsweise des Kopfes erkläre, verwende ich Beispiele des Körpers. Der Körper ist so schön anschaulich, daher ist alles viel leichter zu verstehen. Ein paar Beispiele gefällig? Wenn man den ganzen Tag Fussball spielt, würde man sich abends nicht mit Fussball entspannen können. Wenn Sie den ganzen Tag Meetings und Besprechungen hatten, werden sie sich abends nicht mit einer Talkshow entspannen können. Oder: Muskeln brauchen Nährstoffe und Training, um zu wachsen. Das Gehirn braucht ebenfalls Nährstoffe und körperliches Training. Wenn sie immer den gleichen Arm für die gleiche Bewegung verwenden, wird der irgendwann überlastet sein. Wenn Sie immer das gleiche denken, wird dieser Gedanke auch irgendwann überlastet sein. Ich hatte in den späten 90ern einen Bahngleiswärter. Dieser nette Mann musste jedesmal, wenn ein Signal kam, mit der rechten Hand einen Hebel umlegen. Er kam wegen eines ziehenden Schmerzens im Ellenbogen. Ich riet ihm, regelmäßig auch mal den anderen Arm zu verwenden und es ging ihm blendend. Ein Meisterwerk der modernen Medizin.
Was hat es jetzt aber mit der Metapher eine Kopfdiät auf sich? Es ist sehr schwer, jemanden aus einem tiefen Burnout herauszubekommen. Und die ganze erste Zeit verwende ich darauf, die Mechanismen und Regeln zu erklären. Mit dieser Metapher wird das viel einfacher. Wir stellen uns eine normale Diät vor und übertragen sie auf den Kopf. Stellen Sie sich vor, sie haben zu viele Kalorien aufgenommen und sind ausser Form geraten. Spitzensport ist in weite Ferne gerückt. Bei einem Burnout haben Sie zu viele Kopfkalorien in Form von Informationen zu sich genommen. Auch diese lassen Ihren Kopf ausser Form geraten und sorgen dafür, dass er nicht mehr Leistungsfähig ist. Körperkalorien sind ungefährlich, wenn sie gleich verbraucht werden. Bei Kopfkalorien ist das genauso, wenn die Informationen gleich verarbeitet werden. Dann belasten sie uns nicht weiter. Wenn Kalorien nicht verbrannt werden, lagern sie sich als Fettzelle an der Hüfte an, bis sie irgendwann einmal wieder gebraucht und verbrannt werden. Kopfkalorien lagern sich auch an. Wir nennen das etwas im Hinterkopf zu haben. Da warten diese Gedanken darauf, irgendwann einmal bearbeitet zu werden. Vor dem Einschlafen, in der Badewanne und immer, wenn wir grade einmal Ruhe brauchen. Wenn wir zuviele Körperkalorien haben, werden wir träge und nicht mehr leistungsfähig. Bei Kopfkalorien ist es das gleiche. Weniger Antrieb, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen. Von geistiger Spitzenleistung sind wir weit entfernt.
Was den Körper angeht, wissen wir heutzutage aber auch, dass es sehr unterschiedliche Arten von Kalorien gibt. Zucker, Fette, Eiweiße . Wir müssen genauso Kopfkalorien unterscheiden. Es gibt leicht verdauliche und schwer verdauliche. Leichte heitere Komödien belasten unseren Kopf nicht besonders. Wir denken vielleicht noch ein paar Mal darüber nach, dann sind sie verdaut. Und wissen Sie, was das besondere ist? Sie spüren die gleichen Emotionen beim Verdauen, wie bei der Aufnahmen. Sie lachen, wenn Sie sich an einen guten Witz erinnern. Beim Körper sagt man, ein gutes Chili brennt immer zweimal. Ein guter Witz auch. Wenn wir aber schlechte Kopfkalorien aufnehmen wie Wut, dann müssen wir diese oft sehr lange abtrainieren. Nächtelang grübeln wir über die Situationen, stellen uns vor, wie wir sie besser hätten lösen können. Träumen davon, erzählen anderen davon, schmieden Rachepläne. Sowas kann Wochen dauern, ist sehr anstrengend und verdirbt uns sehr lange die Stimmung. Das gilt auch für Angst. Jeder hat schon mal einen Horrorfilm gesehen, der ihn tage- oder wochenlang beschäftigt hat. Das schlimmste ist, dass der Kopf nicht weiß, dass es ein Film ist. Er versucht dennoch daraus zu lernen. Daher fürchten wir uns im Dunkeln und haben Angst bei Situationen, die uns an diese Filme erinnern. Jeder dritte Deutsche hat Angst vor Haien. Und nur jeder hundertste hat jemals einen Hai gesehen. Die Angst vor Haien ging nach dem Weißen Hai sprunghaft in die Höhe. Ich kann mich selbst noch daran erinnern, dass ich im Meer vor Kroatien auf einen Surfbrett stand und eine Boje mich an den Weißen Hai erinnerte. Habe ich einen satten Panikanfall bekommen. Bin ich den ganzen Urlaub nicht mehr aufs Brett gegangen. Wir werden von Ängsten behindert, die wir niemals selbst erlebt haben! Neulich habe ich eine Statistik gelesen. Jeder zweite Deutsche hat Angst vor öffentlichen Reden. Nur jeder dritte hat Angst vor dem Tod. Wenn Sie also jemals auf einer Beerdigung sind werden Sie sich wünschen, lieber im Sarg zu liegen als die Rede halten zu müssen. Ist doch irre!
Bei der Kopfdiät müssen Sie als erstes lernen, was Kopfkalorien sind. Jede Information ist eine Kalorie. Auf das Handy schauen, Fernsehen, lesen, Radio hören, Auto fahren und auch reden. Schon in den Siebzigern wusste man, dass zu viel Austausch mit Familienangehörigen zur Schizophrenie führt, also einer extremen Art der geistigen Überlastung. Das Konzept wurde „elevated emotions“ genannt und gilt natürlich genauso für alle anderen Arten von Kontakt. Die meisten Patienten sagen hier: Da darf ich ja gar nichts mehr. Und haben Recht! Unser Leben besteht tatsächlich zum Großteil genau aus diesen Dingen. Aber wie lange schon? Seit wann gibt es Bücher, seit wann Fernsehen? Wie lange gibt es schon Fernsehen, das Tag und Nacht läuft? Schauen Sie einmal, wie stark psychische Krankheiten seit der Erfindung des Internets angestiegen sind. Vorher gab es den Begriff des Burnouts gar nicht. Erst heute morgen habe ich eine Studie gefunden, die das beweist, was ich schon seit Jahren sage: Die Intensität einer ADHS Erkrankung steigt mit der Benutzung des Internets. ADHS ist auch eine Teilleistungsstörung bestimmter Bereiche des Gehirns, die für die Informationsverarbeitung zuständig sind und wie ich finde sehr viel mit Burnout zu tun hat (zum Nachlesen: Wang et al: The association between hyperactivity disorder and internet addiction).
Immer wieder werde ich gefragt, warum es früher kein Burnout gegeben hat. Die Möglichkeit, Informationen aufzunehmen war viel begrenzter. Nachdem wir ein Gefühl für Kopfkalorien haben und deren Qualität beurteilen können in schwere und leichte Kalorien brauchen wir einen Diätplan. Um es vorwegzunehmen: Eine Nulldiät ist hier am besten, aber auch sehr schwer. Bei einer Nulldiät bauen wir alte Kopffette ab und das kann sehr anstrengend sein. Es ist sehr leicht zu demonstrieren, was damit gemeint ist: Versuchen Sie nur einmal 30 Sekunden an nichts zu denken und schon werden Kopffette abgebaut. Alte Gedanken kommen ins Bewußtsein und sind manchmal schwer auszuhalten. Wer das nicht verträgt kann es mit einer leichten Diät versuchen: Statt den Kopf auf Leerlauf zu schalten, versuchen wir ihn möglichst leicht zu belasten. Das gibt es bei der Meditation mit Mantras: Wir summen Ommmm! Oder lauschen dem Rauschen des Meeres. Deswegen ist das Meer schon seit Jahrtausenden ein Erholungsort. Oder wir lesen leichte Urlaubslektüre. Manchmal schicke ich Patienten ins Kloster, die zuhause keine Kopfdiät machen können. Dort dürfen sie nicht reden, nicht fernsehen und vielleicht noch in der Bibel lesen. Die meisten bekommen in den ersten drei Tagen heftige Entzugserscheinungen, bevor sie in die Entspannung kommen.
Leider müssen wir diese Diät solange durchhalten, bis wir genug abgespeckt haben, um wieder mit dem normalen Leben fortfahren zu können. Der Trick besteht darin, in Zukunft auf Kopfkalorien zu achten, nicht erst, wenn es zu spät ist. Wenn ich eine anstrengende Woche habe, ist es dann gut oder schlecht, die Schwiegereltern über das Wochenende zu besuchen? Jetzt nicht auf den alten Trick reinfallen und mental mit emotional verwechseln. Ich frage nicht, ob es Spaß macht. Spaß hat mit meiner Arbeit nichts zu tun. Es macht auch Spaß, drei Indiana Jones Filme hintereinander zu schauen. Aber kann ich mich danach besser oder schlechter konzentrieren?
Achten Sie genauso auf Ihren geistigen Konsum, wie Sie auf Ihr Essen achten. Ihr Geist besteht aus dem, womit Sie ihn füttern. Überlegen Sie sich, ob Sie jeden Morgen Zeitung lesen sollten um über alle Katastrophen auf der Welt informiert zu werden. Muss der Fernseher im Hintergrund laufen, denn auch diese Informationen müssen bearbeitet werden. Wir können auch nur eine begrenzte Menge an Kopfkalorien gleichzeitig aufnehmen. Und jetzt plötzlich wissen Sie, warum Sie das Radio ausstellen, wenn Sie im Auto rückwärts einparken.
Allein dafür hat es sich doch gelohnt.